Gottes Volk im Exil von Friedhelm Hengsbach

Gottes Volk im Exil
Anstöße zur Kirchenreform
ISBN/EAN: 9783880952164
Sprache: Deutsch
Umfang: 185 S.
Einband: kartoniertes Buch
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Friedhelm Hengsbach, Jesuit und einer der angesehensten Sozialethiker Deutschlands, beobachtet gesellschaftliche und kirchliche Entwicklungen seit Jahrzehnten - wach, kritisch und unbestechlich. In seinem neuen Buch legt er nun den Finger in die ''offenen Wunden'' der Kirchen, insbesondere der katholischen Kirche. Friedhelm Hengsbach zeigt auf, dass die Institutionen für viele Glaubende zu Räumen der Fremde geworden sind. Das Volk Gottes lebt im Exil, innerhalb und außerhalb der Kirchen. Doch dieses Leben im Exil schafft Raum für Veränderung - spirituell, theologisch und kirchlich. Ganz in diesem Sinne legt Hengsbach Bausteine für eine neue Architektur der Kirchen vor, für ihre Reform an Haupt und Gliedern.
InhaltsangabeEinleitung: Gottes Volk im Exil Sechs offene Wunden 1. Körperschaftskirchen 2. Arbeitgeber-Kirchen 3. Bürger-Kirchen 4. Hochkirchen 5. Kultkirchen 6. Männerkirchen Im Exil glauben 1. Glauben 2. Bezugspunkt des Glaubens 3. Exil Reform an Haupt und Gliedern 1. Gegen die Lähmung in den Köpfen 2. Reform der Kirchenfinanzierung 3. Ausstieg aus dem Dritten Weg 4. Personales Angebot 5. Pastoral der Nähe 6. Liturgien des Lebens 7. Auf Augenhöhe Literatur
Gottes Volk im Exil 2010 war ein schwarzes Jahr für die katholische Kirche in Deutschland. Die Zahl der Kirchenaustritte ist in diesem Jahr sprunghaft gestiegen. Zum ersten Mal seit sechzig Jahren kehrten mehr Katholiken ihrer Kirche den Rücken, als evangelische Christen ihre Kirche verließen. Die eruptive Aufkündigung der Mitgliedschaft ist ein untrügliches Alarmsignal dafür, dass der sexuelle Missbrauch und die gewalttätigen Übergriffe kirchlicher Amtsträger, die während des Jahres aufgedeckt wurden, die katholische Kirche weit heftiger durchgeschüttelt haben, als dies 1968 durch das päpstliche Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung oder 2006 durch das Diktat des Vatikans, aus der Beratung in Schwangerschaftskonflikten auszusteigen, je erreicht wurde. Wut und Empörung hat auch diejenigen gepackt, die in der Kirche geblieben sind. Es mag ihnen noch jetzt kalt den Rücken hinunterlaufen, wenn sie sich jene Ereignisse konkret vorstellen, die über den verbrecherischen Umgang kirchlicher Funktionsträger mit Kindern und Jugendlichen bekannt geworden sind. Nicht weniger verwerflich waren auch die Versuche, die Vergehen unter dem Mantel einer quasi-familiären Club-Atmosphäre zu verbergen, sowie das Schweigen derjenigen an höherer Stelle, die von diesen skandalösen Vorfällen wussten, sie vertuscht und die Mitwisser dieser schändlichen Taten gedeckt haben. Die Reaktionskette der kirchlichen Oberen glich denjenigen von Parteien und Konzernen: Erst wird verschwiegen, vertuscht und geleugnet, dann eingeräumt und ausgeräumt. Ihnen war das gute Image der Institution wichtiger als das Leiden der Betroffenen. Zum Glück ist die Mauer des Schweigens durchbrochen worden. Verantwortliche Entscheidungsträger hatten endlich den Mut, die Opfer von einst aufzufordern, dass sie aufstehen, ihre Stimme erheben und Gerechtigkeit einfordern. Aber wie kirchenrechtlich in Zukunft rigoros mit solchen Vergehen umgegangen wird - bis zum Verbot der Amtsausübung und Amtsenthebung -, bleibt bisher noch offen. Ist die Wut und Empörung inzwischen verraucht? Gehen die Katholiken bereits wieder zur kirchlichen Tagesordnung über? Ein mehrfaches Unbehagen ist geblieben. Die Vergebungsbitte der Bischöfe klingt unzureichend. Es wird bedauert, dass die Straftaten häufig verjährt und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft eingestellt sind. Juristen ist das kirchliche Sprachspiel, das sich vorweg der Begriffe 'Täter' und 'Opfer' bediente, ziemlich fremd. Die zivilen Ermittlungen erwiesen sich oft als unzulänglich. Sie waren nämlich auf eine freiwillige Kooperation angewiesen. Eine vollständige Aufbereitung von Dokumenten scheiterte wiederholt daran, dass sich diese nur als Fragmente in den Archiven der Bistümer und Ordensgemeinschaften auffinden ließen. Die von der Öffentlichkeit erwartete Transparenz der internen schonungslosen Aufklärung wurde erst zugesichert, dann jedoch nur beschränkt eingelöst. Öffentliche Eingeständnisse schuldhaften Versagens, die aufrichtig klangen, waren äußerst selten zu hören. Der Dialog an runden und eckigen Tischen blieb konfrontativ. Nicht wenige Betroffene halten die finanzielle Entschädigung, die von den Bistümern und Ordensgemeinschaften zugesichert wurde, für enttäuschend. Sie fühlen sich behandelt wie Bettelnde, denen Almosen gewährt werden. Sprunghafte Spitzen von Kirchenaustritten lassen sich nicht nur für die katholische, sondern auch für die evangelische Kirche nach 1968 und 1973, nach der deutschen Einigung und am Ende der 1990er-Jahre nachweisen. Sie sind allerdings überlagert von einem langfristig steigenden Trend des Abschieds von den Kirchen. Unmittelbar sind die Austritte meist ein Protest gegen das öffentliche Auftreten von Kirchenoberen oder deren Entscheidungen. Mittelbar gelten sie als ein Indikator dafür, dass die Resonanz der Kirchen in der Gesellschaft negativ getönt ist. Wer die Äußerungen der Massenmedien allein für das Jahr 2010 zur Kenntnis nimmt, findet neben den erwähnten s ...