Der Fanatiker von Eric Hoffer

Der Fanatiker
Und andere Schriften - Die Andere Bibliothek 180
ISBN/EAN: 9783821841809
Sprache: Deutsch
Umfang: 312 S.
Einband: gebundenes Buch
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Führerschaft Welche Bedeutung wir der Rolle des Führers für eine aufkeimende Massenbewegung auch zuschreiben wollen, es bleibt doch kein Zweifel, daß der Führer selbst nicht die Bedingungen schaffen kann, die eine Massenbewegung möglich machen. Er kann keine Bewegung aus dem Nichts schaffen. Ehe Führer und Bewegung in Aktion treten können, müssen in der Masse ein Verlangen nach Gefolgschaft und Gehorsam und eine intensive Unzufriedenheit mit den Dingen, wie sie sind, wirken. Wenn die Bedingungen nicht erfüllt sind, dann bleiben der potentielle Führer und seine heilige Sache ohne Gefolgschaft, wobei es gar keine Rolle spielt, wie sehr er sich seiner Anlage nach zum Führer eignet und wie stark seine heilige Sache ist. Der Erste Weltkrieg und seine Nachwehen bereiteten den Boden für die aufkeimende bolschewistische, die faschistische und die nationalsozialistische Bewegung. Wäre der Krieg verhindert oder um ein oder zwei Jahrzehnte verschoben worden, dann würde das Schicksal Lenins, Mussolinis und Hitlers sich nicht von dem der brillanten Komplottmacher und Agitatoren des 19. Jahrhunderts unterscheiden, denen es niemals gelang, die häufigen Unruhen und Krisen ihrer Zeit zu ausgewachsenen Massenbewegungen zu entwickeln. Dort fehlte etwas. Die europäischen Massen hatten bis zu den umwälzenden Ereignissen des Ersten Weltkrieges den Glauben an die Gegenwart nicht völlig aufgegeben, und sie waren daher nicht gewillt, diese Gegenwart für ein neues Leben und eine neue Welt einzutauschen. Selbst die nationalistischen Führer, die erfolgreicher waren als die revolutionären, konnten aus dem Nationalismus nicht die volkstümliche heilige Sache machen, die dieser seither geworden ist. Der militante Nationalismus und der militante Revolutionismus scheinen Zeitgenossen zu sein. Auch in England mußte der Führer auf seine Zeit warten. Während der dreißiger Jahre erschien der potentielle Führer (Churchill) seinem Volke und machte Tag für Tag von sich reden. Aber er fand keinen Gefolgschaftswillen. Erst als die Katastrophe das Land erschütterte und autonome Einzelexistenzen unhaltbar und bedeutungslos machte, kam der Führer zu seinem Teil. Für alle großen Führer, deren Auftreten uns einen äußerst entscheidenden Punkt im Verlauf einer Massenbewegung zu bezeichnen scheint, heißt es oft, lange im Hintergrund zu warten. Zufälle und die Aktivität anderer Menschen müssen erst die Szenerie für sie errichten, ehe sie auftreten und mit ihrer Vorstellung beginnen können.