Zwischen Feindsetzung und Selbstviktimisierung von Lars Koch/Torsten König

Zwischen Feindsetzung und Selbstviktimisierung
Gefühlspolitik und Ästhetik populistischer Kommunikation
ISBN/EAN: 9783593511986
Sprache: Deutsch
Umfang: 400 S.
Einband: kartoniertes Buch
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Zwischen Feindsetzung und Selbstviktimisierung. Gefühlspolitik und Ästhetik populistischer Kommunikation. Eine Annäherung Lars Koch, Torsten König und Gerd Schwerhoff Kann man noch Neues und Originelles zum Thema des vorliegenden Bandes sagen? Die Popularität des »Populismus« scheint in der gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Forschung ungebrochen, Tendenz steigend, wie die wachsende Zahl der Publikationen dazu in jüngerer Zeit belegt. In den vergangenen 15 Jahren ist dieser Trend zweifelsohne dem akuten und massiven Auftauchen politischer Phänomene geschuldet, die mit dem Label »Populismus« umschrieben und geordnet werden, von den Programmen migrationsfeindlicher und europaskeptischer Parteien über den Politikstil von Hugo Chávez oder Donald Trump bis hin zu Pegida und diversen identitären Bewegungen. Gleichwohl lässt sich die Auseinandersetzung mit der Thematik schon sehr viel früher beobachten. 1969 widmete sich eine interdisziplinäre Tagung an der London School of Economics dem Phänomen. »Ein Gespenst geht um in der Welt - der Populismus«, schreiben die Herausgeber Ernest Gellner und Ghita Ionescu in der Einleitung zum Tagungsband. Dass Populismus zu verschiedenen Zeiten als Problem von größter Gegenwartsrelevanz begriffen wurde, zeigt das wiederholte Aufgreifen der Marx-Paraphrase etwa bei Helmut Dubiel 1986 oder Bernd Stegemann 2017. Auch der vorliegende Band begründet sein wissenschaftliches Interesse an der Thematik mit der Notwendigkeit von Gegenwartsdiagnostik, insbesondere vor dem Hintergrund des globalen Rechtspopulismus, dessen Einfluss auf politische Systeme und Gesellschaften wächst. Historische Dimensionen des Phänomens figurieren gleichwohl als notwendige Kontrastfolien für strukturelle Vergleiche. Die in den letzten Jahren erfolgten Untersuchungen zum Populismus richten den Fokus auf Strukturen und Organisationsformen der politisch Handelnden, auf soziale Determinanten oder auf ideologische Dimensionen. Vergleichsweise wenig Beachtung fanden dagegen bisher Aspekte der Form populistischer Kommunikation unter medienästhetischen Gesichts-punkten. An diesem Punkt setzt die Untersuchungsperspektive des vorliegenden Bandes an. Sie geht davon aus, dass eine Beschreibung des Populismus ohne die Reflexion seiner medialen und medienästhetischen Bedingtheiten nicht auskommt und fragt nach den performativen Dimensionen populistischer Kommunikation in unterschiedlich gestalteten Ausdrucksformen. Sie versteht sich dabei als Beitrag zu einer »kritischen Theorie des Populismus«, der Forschungslücken schließen und neue Reflexionsimpulse geben möchte. Ein solches Unterfangen sieht sich mit einer Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert. Will man den Terminus »Populismus« als analytische Kategorie verwenden, ist zunächst zu berücksichtigen, dass er gleichzeitig Kampfbegriff in der politischen Auseinandersetzung ist. »Populistisch« ist eine Schmähvokabel, die von allen politischen Lagern, von den einen mehr, den anderen weniger, mit dem Ziel der moralischen Delegitimierung des Gegners in Anschlag gebracht wird. Versuche, den Begriff positiv zu wenden, wie jüngst durch Chantal Mouffes Plädoyer für einen »linken Populismus« geschehen, kehren zwar die Vorzeichen um, ändern aber nichts an seinem Wertungscharakter. Angesichts der kaum zu verhindernden Überlappung von Objekt- und Beschreibungssprache stellt sich also die Frage, inwieweit der politische Kampfbegriff »Populismus« zugleich ein Instrument wissenschaftlicher Analyse und Erkenntnis sein kann. Eine Lösung des Problems zeichnet sich ab, wenn man »Populismus« mit den aktuellen Entwicklungen in der Forschung deskriptiv als eine »politische Mobilisierungslogik« versteht, die durch keine spezifische politische Ideologie und Programmatik, wohl aber durch rekonstruier- und vergleichbare Adressierungsstrategien und Resonanzkalküle gekennzeichnet ist. Konzeptuell lässt sich diese Logik zunächst vor allem formal und mit Blick auf die sie bedingenden Strukturmuster beschreiben. So bestimmt der Politikwissenschaftler Cas Mudde Populismus als »thin-centred ideology«, die Gesellschaften in zwei antagonistische Gruppen gespalten sieht: »the pure people« versus »the corrupt elite«. Dem populistischen Denkstil nach soll das »Volk«, mit dem Mandat der volonté générale moralisch legitimiert, gegen die »Eliten« mobilisiert werden. Politische Ideologien und Ziele, mit denen die Mobilisierung unterfüttert ist, können dabei variieren. Entscheidend ist der Anspruch populistischer Akteur*innen, alleine das »wahre« Volk zu vertreten, womit sie pluralistische Gesellschaftsmodelle ablehnen. Die damit vorgenommene Fokussierung populistischer Strukturmuster, die gegebenenfalls für eine Unterscheidung von Links- und Rechtspopulismus weiter auszudifferenzieren wäre, vermeidet nicht nur ideologisch-inhaltliche Festlegungen und voreilige sozialpsychologische Diagnosen, sondern sie lenkt das Augenmerk auch auf die Formen populistischer Mobilisierung und deren kommunikative Funktionen, auf Rhetoriken, sprachliche oder bildhafte Topoi, Inszenierungsweisen und Dramaturgien politischer Kommunikation, also jene Aspekte, die im Fokus des vorliegenden Bandes stehen. Der Politikwissenschaftler Benjamin Moffitt spricht dahingehend von Populismus als einem »political style«. Der Vorwurf, eine solche Perspektive laufe Gefahr, zu reiner, diskreditierender Stilkritik an den diskursiv »Ungewaschenen«, Nicht-Satisfaktionsfähigen zu werden und gleichzeitig die sozioökonomischen Bedingtheiten des Populismus auszublenden, erscheint wenig überzeugend. Denn mit den Ausdrucksformen populistischer Kommunikation rückt deren performative Kraft in den Blick und führt neben den Versuchen, Populismus inhaltlich, formal, sozial oder sozio-ökonomisch zu fassen, eine weitere Ebene ein: Populismus als politische Performanz. Damit geht es in medienästhetischer Hinsicht um das Ver-stehen von kommunikativen Strukturen und deren Wirkmechanismen in komplexen, nicht nur ökonomisch, sondern eben auch kulturell geprägten Prozessen. Ökonomische und kulturalistische Erklärungsansätze des Populismus schließen einander nicht aus, sondern können sich ergänzen. Die Performanz zeichnet sich, darin stimmen die meisten Analysen des Phänomens überein, in besonderem Maße durch affektive und emotionale Adressierungen in der Kommunikation aus. Eine Analyse des Populismus als politische Mobilisierungslogik muss sich folglich den Gefühlspolitiken und den Ausdrucksformen populistischer Kommunikation zuwenden. Affekte und Emotionen sind wesentliche Strukturbedingungen und Ressourcen politischer Kommunikation, »weil sie auf einer vorbewusst-relationalen Ebene Einstellungen, Wahrnehmungsmuster und Gewohnheiten beeinflussen und damit politische Interaktions- und Handlungsweisen unterschwellig prägen.« Mit Blick auf die gegenwärtige Entfaltung politischer Antagonismen verweist der Soziologe und politische Philosoph Oliver Marchart auf die zentrale Rolle von Affekten wie Resignation, Ressentiment, Furcht, Wut, Hass, Aggression, etc. Begreift man die Leidenschaften als integralen Be-standteil der Politik, dann drängt sich das Desiderat einer »Affektologie« bzw. »Affektenlehre des Politischen« geradezu auf. Ihr Arbeitsprogramm bestände darin, das Verhältnis zwischen der von Marchart im Anschluss an Laclau theoretisch bestimmten generellen gesellschaftlichen Konflikthaftigkeit und ihren jeweiligen Gefühlsökonomien, ihren kulturellen Sedimentierungen, Praxen und Medienkulturen systematisch auszuleuchten. Affekte, so Marchart, lassen sich ebenso wenig diskursiv motivieren wie der Antagonismus voluntaristisch zu erzwingen oder verbal heraufzubeschwören ist. Sie entstehen in der »Begegnung« mit dem Antagonismus, dort wo um Hegemonie gerungen wird. Zu ergänzen wäre, dass - sofern diese Begegnung medial erfolgt - es die medienästhetisch gestalteten Bildwelten, Sprachmuster, Narrationen, Köperinszenierungen oder Dramaturgien sind, die eine Affizierung der Adressierten bewirken. Eine Affe...