Die Rhetorik von Computerspielen von Niklas Schrape

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Die Rhetorik von Computerspielen
Wie politische Spiele überzeugen
ISBN/EAN: 9783593397955
Sprache: Deutsch
Umfang: 356 S.
Einband: Paperback
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InhaltsangabeInhalt 1 Einleitung 1.1 Das Vorhaben 1.2 Von der Rhetorik zur Computerspielrhetorik 1.3 Eingrenzung der Perspektive 1.4 Der Aufbau der Arbeit 2 Theorie der Computerspielrhetorik 2.1 Perspektivierung des Untersuchungsobjekts 2.2 Bestehende Ansätze 2.3 Die Rhetorik 2.4 Das Computerspiel 2.5 Umriss der Computerspielrhetorik 3 Analyse von Peacemaker 3.1 Spielbeschreibung 3.2 Zerlegung 3.3 Analyse der Intrafaces und des Spielraums 3.4 Analyse der Systemstruktur 3.5 Analyse invarianter Segmente 3.6 Die Rhetorik des israelischen Spielmodus 3.7 Die Rhetorik des palästinensischen Spielmodus 3.8 Die kombinierte Rhetorik der Spielmodi 4 Analyse von Global Conflicts: Palestine 4.1 Spielbeschreibung 4.2 Zerlegung 4.3 Analyse der Intrafaces 4.4 Analyse des Spielraums 4.5 Die multilineare Narration 4.6 Die Augenzeugenberichte 4.7 Die Rhetorik von Global Conflicts: Palestine 5 Schlussfolgerungen 5.1 Vergleich der rhetorischen Strategien 5.2 Computerspielrhetorik und Medienwirkung 5.3 Perspektiven der Computerspielrhetorik Anhang Begriffe und Kategorien der Computerspielrhetorik Beschreibungskategorien der Bild- und Filmrhetorik Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Literatur Danksagung
Niklas Schrape promovierte an der Hochschule für Film und Fernsehen »Konrad Wolf« in Potsdam-Babelsberg.
1.1 Das Vorhaben Computerspiele sind mehr als Unterhaltung. Auf der einen Seite bilden eine Vielzahl kommerzieller Computerspiele bestehende Gesellschafts- und Machtverhältnisse aus europäisch-amerikanischer Perspektive ab (vgl. Bevc 2007: 50), auf der anderen Seite nutzen engagierte Designer wie Chris Crawford (Balance of Power 1987) oder Jim Casperini (Hidden Agenda 1988) Spiele seit Mitte der Achtzigerjahre als Mittel des politischen Kommentars. Heutzutage verwenden Nichtregierungsorganisationen, wie Amnesty International, Spiele ebenso für ihre Öffentlichkeitsarbeit, wie internationale Institutionen, beispielsweise das Büro des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) (Against All Odds 2005) oder das World Food Programe der Vereinten Nationen (Food Force 2005). Die globalisierungskritische Künstlergruppe Molleindustria persifliert in McDonald's Videogame (2006) und Oiligarchy (2009) die Prinzipien des Kapitalismus und kommentiert mit Faith Fighter (2008) religiöse Konflikte in einem Prügelspiel, während die U.S. Army mit dem Online-Shooter America's Army: Operations (2002) Soldaten rekrutiert. Auch Parteien nutzen Spiele zu Propagandazwecken, wie die Schweizer SVP mit Zottel Rettet die Schweiz (2007) und Minarett Attack (2009). Alle diese Spiele argumentieren für oder gegen etwas. Wer von Argumentation spricht, der befindet sich jedoch schon tief im "Reich der Rhetorik" (Perelman 1980), denn die Rhetorik ist seit der Antike der theoretische wie praktische Diskurs der Argumentation. In dieser Arbeit soll ein Ansatz einer medienspezifischen Rhetorik von Computerspielen entwickelt werden, womit eine Beschreibungssprache aus dem Blickwinkel der Überzeugungskraft gemeint ist. Seit der Antike ist Rhetorik die Lehre von der Wirkmacht der Rede- und Textstrukturierung und war dabei stets Theorie (rhetorica docens) und Praxis (rhetorica utens) zugleich. Im Zuge der Ausweitung des Textbegriffs wurde sie als Bild-, Film- und allgemeine Medienrhetorik auf alle Arten audiovisueller Texte adaptiert. Die Übertragung des rhetorischen Instrumentariums auf Computerspiele folgt dieser Tradition. Es ist ein analogisches Verfahren: Computerspiele werden hypothetisch der Rede gleichgesetzt und als rhetorische Texte untersucht. Die rhetorischen Beschreibungskategorien werden dabei auf Computerspiele projiziert, um Strukturen sichtbar zu machen, die andernfalls verborgen geblieben wären. Ziel ist es, Ähnlichkeiten wie Differenzen zwischen Computerspiel und rhetorischer Rede zu beschreiben. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen zwei detaillierte Analysen pädagogisch motivierter Computerspiele mit politischen Inhalten. Solche Lernspiele werden in den Game Studies und Medienwissenschaften oft zusammen mit Trainings-, Werbe- und Propagandaspielen unter dem Dachbegriff der Serious Games diskutiert (vgl. Metz/Theiss 2011). Dieser auf den ersten Blick widersprüchliche Begriff dient in der Spielebranche als Schlagwort, um Spiele zu vermarkten, deren mutmaßliche Intention sich nicht in Unterhaltung erschöpft. Er findet in dieser Arbeit keine Verwendung, da er bereits durch die Industrie besetzt worden ist, was seinen kritischen Gebrauch erschweren würde. Weiterhin erlaubt er keine eindeutige Abgrenzung zu anderen Spielformen und impliziert den irreleitenden Gedanken, dass jene nicht ernst zu nehmen seien (vgl. Biermann u.a. 2010). Das einzige Kriterium, an dem sich die Kategorisierung eines Spiels als Serious Game festmacht, ist seine mutmaßliche Wirkintention. Diese kann jedoch nur hypothetisch durch den Analysierenden bestimmt werden. Letztlich kann also jedes Spiel ernsthaft sein, sofern es nur ernst genommen wird. Die Ausarbeitung der Computerspielrhetorik erfolgt hier anhand zweier Spiele mit scheinbar eindeutigen Wirkintentionen, doch ihr Anwendungsgebiet soll sich nicht auf solche beschränken. Prinzipiell kann jedes Spiel aus rhetorischer Sicht untersucht werden, sofern ihm plausibel ein Wirklichkeitsbezug und eine Wirkintention zugesprochen werden können. Im amerikanischen Strategiespiel Peacemaker (2007) muss der Spieler den Nahostkonflikt als palästinensischer Präsident oder israelischer Premierminister durch politisches Handeln lösen. Im dänischen Adventure Global Conflicts: Palestine (2007) schlüpft er in die Haut eines Journalisten oder einer Journalistin und erforscht den israelisch-palästinensischen Konflikt im Dialog mit virtuellen Charakteren. Die Spiele wurden als Untersuchungsobjekte ausgewählt, weil sie inhaltlich vergleichbar sind, obwohl sie grundverschiedenen Genres entstammen. Als Strategiespiel ist Peacemaker konfigurationskritisch im Sinne von Pias (2002: 11), denn es erfordert Geduld bei der optimalen Regulation von Parametern. Das Adventure Global Conflicts: Palestine dagegen ist ein entscheidungskritisches Spiel, denn es erfordert Urteile bei der Wahl von Optionen in einer sich verzweigenden Struktur. Nach Juul (2005a: 67ff.) kann Peacemaker zudem als emergentes Spiel (Game of Emergence) verstanden werden, da sein Spielverlauf sich scheinbar unvorhersehbar entwickelt. Global Conflicts: Palestine dagegen entspricht einem progressiven Spiel (Game of Progression), da der Spieler in ihm einer weithin vorgezeichneten Sequenz von Ereignissen folgt. Trotz ihrer unterschiedlichen Form, weisen die Spiele inhaltliche Parallelen auf: Sie wurden im selben Jahr produziert, haben beide den israelisch-palästinensischen Konflikt zum Thema, richten sich an ein amerikanisch-europäisches Publikum und verfolgen vordergründig Friedensbotschaften. Die Spiele sind sich inhaltlich ähnlich, formal jedoch grundverschieden. Das erlaubt ihr Gegenüberstellung. Der Vergleich der Analyseergebnisse erlaubt somit Schlüsse auf die Abhängigkeit der Computerspielrhetorik von Genrekonventionen. In dieser Arbeit wird keine Fallstudie zur Darstellung des israelisch-palästinensischen Konflikts angestrebt. Die Spiele sind vielmehr Mittel zum Zweck der Ausarbeitung eines rhetorischen Instrumentariums. Für das Verständnis ist es jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass Peacemaker und Global Conflicts: Palestine nicht die ersten Computerspiele sind, die den Nahostkonflikt zum Thema haben. Was sie aber auszeichnet, ist ihre Fokussierung auf die Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern sowie ihre pädagogische Intention. Bereits 1990 erschien das Strategiespiel Conflict: Middle East Political Simulator, in dem rundenweise über das Geschick Israels bestimmt und Krieg gegen die Nachbarländer geführt werden kann. Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern spielt dabei nur insofern eine Rolle, als dass im eigenen Territorium Aufstände entbrennen können, welche die Kriegsführung behindern. Auch Conflict: Middle East (1991), Divided Grounds: Middle East Conflict (2001) und The Star and the Crescent (2005) sind Strategiespiele, in denen Gefechte nach historischen Vorlagen im Mittelpunkt stehen. Der Nahostkonflikt dient in ihnen bloß als Hintergrundfolie für Spielstrukturen, die auf beliebige andere Szenarien projiziert hätten werden können. Ähnliches gilt für die Flugsimulatoren Wings over Israel (2008) und Jane's Combat Simulation: Israeli Air Force (1998), in denen der Sechstagekrieg (1967), der Jom-Kippur-Krieg (1973) und der Libanonkrieg (1982) aus Perspektive eines Kampfpilots nachgespielt werden kann. Daneben existieren viele Spiele, in denen gegen arabische Terroristen gekämpft werden muss, beispielsweise Delta Force (1998) und Full Spectrum Warrior (2004) (vgl. Bevc 2007). Es verwundert nicht, dass die wiederkehrende Darstellung von Arabern als Gegner bei jungen Palästinensern zu Frustration führte (vgl. Souri 2007). Anfang des Jahrtausends drehten arabische Spieleentwickler das Prinzip um: In Special Force (2003), Special Force 2: Tale of the Truthful Pledge (2007), Under Ash (2001) und Under Siege (2005) konnte erstmals auf arabischer Seite gegen Israel gekämpft werden. Zur Beunruhigung israelischer Politiker wurden die Spiele in palästine...