Drei Leben für Lukas Kasha von Lloyd Alexander

Drei Leben für Lukas Kasha
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ISBN/EAN: 9783570270660
Sprache: Deutsch
Umfang: 256 S.
Einband: kartoniertes Buch
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Eintauchen in den Zauber des Orients Lukas Kasha ist Nichtstuer aus Passion. Ein Tagträumer, aber immer neugierig. Als ein Gaukler auf dem Marktplatz einen Freiwilligen für seine Darbietungen sucht, macht Lukas deshalb freudig mit und steckt seinen Kopf in einen Wassereimer. Als er ihn wieder herauszieht, schwimmt er in einem unbekannten Meer und von seiner gewohnten Welt ist keine Spur mehr zu sehen! Am Strand empfangen ihn jubelnde Menschen, die ihn zum König von Abadan krönen. Ein Leben, ein Luxus, wie es ihm gefällt. Aber dann entdeckt er die gefährlichen Schattenseiten seiner neuen Welt und muss überstürzt fliehen. Wird er je in sein altes Leben zurückfinden?
Lloyd Alexander, 1924 geboren, arbeitete in den USA als Cartoonzeichner, Werbetexter, Grafiker, Übersetzer und Herausgeber einer Zeitung, bevor er begann, Geschichten zu schreiben. Bald war er sehr erfolgreich und seine Bücher, u. a. die Romane um den Schweinehirten Taran, wurden mehrfach ausgezeichnet.
1Zusammengerollt unter einem Berg von Hobelspänen, fühlte sich Lukas behaglich - nur der Stiefel des Zimmermanns in seinen Rippen und die Stimme des Zimmermanns in seinen Ohren störten. 'Wach auf! Ich muss dir etwas sagen!' Lukas krabbelte aus den Hobelspänen und wischte sich den Schlaf und den Holzstaub aus den Augen. Dann glättete er seine Mütze, die ihm, zu einem Knäuel geballt, als Kopfpolster gedient hatte. Nicholas humpelte an die Werkbank und winkte dem Jungen, ihm zu folgen. 'Mir ist etwas durch den Kopf gegangen', eröffnete ihm Nicholas. 'Tatsächlich?', rief Lukas. 'Hoffentlich hat dein Hirn nicht darunter gelitten.' Der Zimmermann ignorierte diese Bemerkung, räusperte sich und begann erneut: 'Ich habe mir überlegt, dass ich schließlich nicht jünger werde. Angenommen, ich sagte zu dir: Ich suche einen Lehrjungen. Einen flinken, kräftigen Jungen, dem ich mein Handwerk beibringen kann. Nach meinem Tod wäre er der neue Stadtzimmermann und könnte das Geschäft nach eigenem Gutdünken ausbauen.' 'Du hast doch bereits einen Lehrjungen.' Lukas gähnte. 'Warum weckst du mich, um mir das alles zu erzählen?' 'Holzkopf! Muss ich es dir erst Nagel für Nagel in deinen Dummschädel hämmern? Du bist es, von dem ich rede.' Lukas platzte lauthals heraus: 'Ich? Ich soll Sägespäne schnupfen? Ich soll meine Daumen flach und blau klopfen?' 'Du Nichtsnutz! Ich will dir einen Gefallen tun, und du tust ganz so, als wolle ich dir die Pest an den Hals hetzen. Mit ehrlicher Arbeit ...' 'Hör auf! Hör auf! Kein Wort mehr von Arbeit!' Lukas blickte sich verschwörerisch um und wisperte dann: 'Ich hab's noch keinem verraten - ich will nämlich nicht, dass es sich herumspricht -, aber ich trage ein schreckliches Leiden mit mir herum: Arbeit macht mich krank! Wenn ich dieses furchtbare Wort "Arbeit" auch nur höre, bekomme ich schon Krämpfe!' Er rollte mit den Augen und fasste sich an den Bauch. 'Autsch! Gleich kommt es! Gleich hat es mich gepackt! Rasch, Nicholas! Das Gegenmittel! Eine Bratwurst! Am besten gleich zwei, zur Sicherheit!' 'Hör auf, den Narren zu spielen! Ist das die Art, sich aufzuführen, wenn einem der rechte Weg ins Leben geboten wird?' 'Höchstwahrscheinlich.' Lukas grinste. 'Den Antrag hat man mir nämlich bisher noch nie gemacht. Also, wie wär's jetzt mit der Wurst?' 'Nichts da', sagte Nicholas. 'Für dich gibt es keine Extrawürste mehr - so lange, bis du erkennst, dass alles bloß zu deinem eigenen Besten dient.' 'Was bedeutet: Es ist langweilig, tut weh oder schmeckt schlecht.' Der Zimmermann kramte in seiner Börse. 'Wenn du essen willst, musst du auch arbeiten.' Er fischte eine Silbermünze heraus und gab sie Lukas. 'Das ist von nun an dein Wochenlohn. Mehr erhält ein Lehrjunge nirgendwo; die meisten bekommen sogar weniger.' 'Sehr großzügig', gab Lukas zu. 'Unter allen guten Menschen bist du der Beste, auch ohne Bratwurst. Aber, bedenke: meine Krankheit ...' 'Nimm es als Vorschuss', sagte der Zimmermann, 'und überleg dir die Sache noch einmal.' 'Gern - sobald ich nichts Besseres zu tun habe!' Lukas ließ die Münze in die Tasche gleiten, stülpte sich die Mütze über den Kopf und entschwand auf die Straße, noch ehe sein Möchtegern-Lehrmeister ein weiteres Wort sagen konnte. Da gerade Markttag war, lief er zum Hauptplatz. Der alte Nicholas hatte ihn einen Nichtsnutz genannt. Dabei verstand es Lukas, sich auf vielerlei Weise nützlich zu machen: Er war großherzig - denn er erzählte jedes aufgeschnappte Gerücht in allen Einzelheiten weiter. Er war fleißig - denn er konnte in einer einzigen Nacht die Fratze des Bürgermeisters auf ein Dutzend Hauswände malen. Er war genügsam - denn er nahm sich bloß einmal im Jahr Urlaub, nämlich 365 Tage. Er lachte gern, sang gern und ging gern auf den Händen - was er häufig tat. Er aß gern gut und viel - was ihm nur selten gelang. Er schlief gern - wann und wo immer es sich ergab, am liebsten jedoch in der Werkstatt des Zimmermanns, denn Nicholas ...