Ein Haus voller Liebe von Amanda Brookfield

Ein Haus voller Liebe
Roman
ISBN/EAN: 9783442466504
Sprache: Deutsch
Umfang: 635 S.
Einband: kartoniertes Buch
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Eigentlich sollte es ein Jahr der großen Feste für die Familie Harrison werden: Cassie plant ihre lang erwartete Hochzeit, ein Urlaub mit allen drei Generationen steht ebenfalls an, und die Familie scheint sich so nah wie schon lange nicht mehr. Doch so einfach ist das Leben nicht und Familienbande schon gar nicht. Geschwister streiten, Liebe geht verloren und wird gefunden und schon bald ist nicht nur die lang geplante Hochzeit ungewiss .
Februar Als die Trauergemeinde dem Sarg durch das normannische Portal von St. Margaret hinausfolgte, hatte die Sonne die bleierne Wolkendecke zu harmlosen grauen Knäueln aufgelöst, die über dem fernen Hügelzug der South Downs hingen wie verwehter Rauch. Es war ein nasser Winter gewesen, und das Gras auf dem Friedhof, schon hier und dort mit Büscheln von Osterglocken durchsetzt, sah üppig und saftig aus und bezeugte mehr als Worte, dass über den verwesenden Toten darunter das Leben weiterging. Die lebenden Mitglieder der Familie Harrison, deren dunkle Kleidung im frischen Wind flatterte, bewegten sich mit der gleitenden Leichtigkeit eines Vogelschwarms über die Friedhofspfade. In einer geschützten Ecke mit einer knospenden Ligusterhecke blieben sie stehen, vor einem tiefen, rechteckigen Loch, das zwischen anderen, unterschiedlich von der Witterung gezeichneten Familiengräbern lag. »Asche zu Asche, Staub zu Staub.« Der Pfarrer intonierte die Worte mit gelangweilter Routine und warf eine Handvoll Erde in das Grab, die von einer Windbö erfasst und auf seinen Talar zurückgeweht wurde. Beim Absenken des Sarges schweifte die Aufmerksamkeit von Pamela Harrison, mit neunundsiebzig Jahren der Familienältesten, von der Bestattung ihrer Schwägerin Alicia zu der grasbewachsenen Erhebung ab, unter der sich die sterblichen Überreste ihres Mannes befanden. Nach zwei Jahren sah die Grabstelle immer noch neu und wie frisch geschaufelt aus, als hätte John es sich anders überlegt und versuchte nun, sich durch die Reihen von Winterstiefmütterchen nach oben zu kämpfen, um noch einmal frische Luft zu schnappen oder - wie es seine Gewohnheit im Leben gewesen war - das letzte Wort zu haben. In Anbetracht seines schwachen, dreiundachtzig Jahre alten Herzens war sein Tod nicht unerwartet, aber für Pamela trotzdem bestürzend gekommen. Nach sechzig Jahren Ehe waren sie so fest miteinander verwachsen gewesen wie die knorrigen Wurzeln der alten Eiche, welche die Auffahrt von Ashley House bewachte, ihrem Familiensitz auf der anderen Seite des Dorfes. Als Pamela auf der Fahrt zur Kirche an dem Baum vorbeigekommen war, hatte sie sich dabei ertappt, wie sie durch die Pünktchen ihres Hutschleiers in den ausgreifenden Baldachin seiner Äste starrte und daran dachte, wie gern John unter ihm gesessen hatte, die Pfeife in der einen Hand und mit der anderen die seidigen Ohren von Poppy, ihrem geliebten Springer-Spaniel, kraulend. Sie hatte ihre schwarze Handtasche umklammert, während sie zu den verschlungenen Wurzeln hinübersah und sich fragte, ob es chirurgisch wohl möglich wäre, eine davon zu entfernen, und wie ein so altes und komplexes Gebilde auf einen solchen Eingriff reagieren würde. Seit Johns Weggang konzentrierte sie sich so gut wie möglich auf das respektable, aber ermüdende Geschäft des Weitermachens und hatte dabei entdeckt, wie tröstlich die zahllosen alltäglichen Verrichtungen sein konnten, die sie früher so oft wegen ihrer Gleichförmigkeit verachtet hatte. Wenn sie ihr schütter werdendes weißes Haar in den gewohnten Knoten drehte, mit Poppy Gassi ging oder nach dem Frühstück im Salon durch die Zeitung blätterte und dabei auf den Lavendel vorm Fenster blickte, der zu dieser Jahreszeit nur ein zerzaustes Gestrüpp um die Rosensträucher bildete, war Pamela sich bewusst, dass es gerade die Vertrautheit dieser Handlungen und der Umgebung war, die sie aufrechterhielten. Weil man nicht über sie nachdenken musste, weil sie wenigstens einen Anschein von Normalität und Fortdauer vermittelten. Es waren eher die Aufgaben abseits der täglichen Routine, die ihr schwerfielen. Wie zum Beispiel einen Hut für die Beerdigung auszuwählen; einen Hut für Johns klapper-hüftige Schwester Alicia, die sich mit all dem Zorn und all der Sturheit ans Leben geklammert hatte, die ihr eigen gewesen waren und deretwegen Pamela sie nicht als Freundin hatte betrachten können. Stundenlang hatte Pamela an diesem Morgen an ihrem Ankleidetisch gesessen, die Hutschachteln auf der